Was Maschinen und Menschen geistig verbindet

Initiative Resonanz-Ökonomie

von Matthias Rosenberger

Das konstruktivistische Prinzip als Vermittler zwischen menschlichem und maschinellem Lernen

Ich habe mir erlaubt, ein Zitat umzuschreiben. Und zwar das aus der #GroundedTheory bekannte Thomas Theorem „If men define situations as real they’re real in their consequences” (Thomas & Thomas 1970: 572) . Warum?

Im Zuge unserer Arbeit im #MINDSET Projekt (https://mindset.wifa.uni-leipzig.de/) widmen wir uns seit nunmehr einem halben Jahr den Chancen, die sich für unser #rep:grid ergeben, wenn wir die Potentiale des maschinellen Lernens (#KI) adoptieren.

Data Science ist kein Hexenwerk

Wenn man sich eine Zeit mit Data Science beschäftigt wird schnell klar, das wir es nicht mit einem Hexenwerk zu tun haben. Es ist eher erstaunlich, wie gut z. B. Neuronale Netze unser Gehirn mittlerweile nachahmen können; Wenn sie dann erst einmal trainiert sind, machen Sie zwar immer noch kleinste Fehler

Der Urschrei des Menschen

Das menschliche Gehirn entsteht schon im Mutterlaib. Hier werden alle Neuronen angelegt, die unser Lernen als Mensch ermöglichen.

Was erfährt es dort in seinem frühen Wachstum? Das Gehirn in einem Fötus bekommt seine ersten Informationen über die Umwelt durch die Nabelschnur und wenig später über die sich allmählich entwickelnden Sinnesorgane. Es ist gut versorgt. Denn während der 9-monatigen Schwangerschaft schwimmt es sozusagen im Paradies. Die Geräusche sind stark gedämpft, die Temperatur ist einigermaßen konstant, es hat nahezu uneingeschränkte Bewegungsfreiheit und es ist immer genug Nahrung vorhanden.

Dann der Knall: Mit dem Moment der Geburt erfährt das Menschenskind völlig nichtsahnend die Kehrseite des Lebens: Es ist laut, es ist kalt, die Nahrungszufuhr ist weg und überhaupt ist eigentlich alles völlig unangenehm da draußen.

Unser erste Reaktion ist dann ja auch, dass wir schreien und sofort wieder zurück wollen in unser gewohntes Paradies….wir erheben unsere Stimme zum allerersten Mal. Wir schreien so laut wir können!

Das Grundmotiv-Dilemma

Hier wird erwiesenermaßen die zweipolige Ur-Konstruktion unseres Antriebs angelegt. Wir erfahren höchst emotional was uns gut tat und was uns nicht gut tut.

Wenn man sich die Entwicklung eines menschlichen Neuronensystems kurz nach der Geburt genauer anschaut, ist es noch ziemlich licht und spärlich.

Wenn man jedoch deren Entwicklung einige Zeit verfolgt, werden Muster deutlich. Und wenn man die Muster dann vergleicht, stellt man folgendes fest. Die Anzahl und Lage der Neuronen bleiben zwar gleich, die Verbindungen untereinander jedoch nehmen exponentiell zu.

Die Anzahl der Neuronen stehen mit der Geburt nahezu fest (vergleichbar mit dem Layer 21 bei künstlichen neuronalen Netzen). Die Kommunikation zwischen Neuronen bleibt dabei ebenfalls auf dem ursprünglichen Niveau entweder es fließt Strom zwischen zwei Nervenzellen oder es fließt keiner. Die Kommunikation erfolgt ausschließlich in dichotomen Einheiten 0 und 1.

Daher ist zu schlussfolgern, dass unser ureigensten Motive ihren Ursprung in der einfachen Dichotomie „von weg – hin zu“ haben können.

Nach ca. 2 Jahren hat sich bereits ein komplexes und dichtes Netz der Neuronen gebildet. Erste Erfahrungen nach der Geburt, z. B. das in den Arm genommen werden von der Mutter, erste sanfte Stimmen der Bezugspersonen und das Stillen sind für uns auch erste Anzeichen dafür, dass es auch hier draußen „gute“ Dinge gibt. Und wir werden unser Leben lang danach streben, möglichst oft und intensiv die Zeit vor der Geburt wieder zu erleben.

Unser Motivsystem ist demnach eine iterative Verknüpfung aller Positiv-Negativ-Erfahrungen, angedockt an die Ur-Dichotomie, die in unserem neuronalen Netz verankert ist. Je nachdem wie wir unsere Erlebnisse nach der Geburt verarbeiten, entsteht in unserem Gehirn ein höchst individuelles System von Neuronenverknüpfungen. Es lernt sozusagen die Strukturen und Muster unserer Umwelt und bildet daran ein dichtes Geflecht zwischen den Neuronen aus.

Intensives Befassen mit einer Sache, wie z. B. das Lesen und Schreiben lernen, führt in Konsequenz dann dazu, dass wir das einmal Gelernte später nicht mehr ignorieren können:

Des Menschen Motive verstehen

„Ein Gedanke, der einmal gedacht worden ist, kann nicht mehr zurückgedacht werden“, sagt auch Friedrich Dürrenmatt in „Die Physiker“. Und er drückt damit aus, dass wir nicht mehr in der Lage sind, Erlebtes zu ignorieren. Der Gedanke von Dürrenmatt, in Kombination mit der Ur-Dichotomie unseres Strebens nach Wohlfühlen, macht den Kern der Personal Construct Theory nach George A. Kelly (1955) aus.

In seinem konstruktivistisch begründeten Theoriegebäude agieren Menschen wie Wissenschaftler, die versuchen die Zukunft vorherzusagen, um möglichst oft und lange in Situationen zu geraten, die sich angenehm anfühlen. und am Leben erhalten (Viabilitätsprinzip)

Laut Kelly bildet jeder Mensch eine Vielzahl von Konstrukte-Verknüpfungen die bipolarer aufgebaut sind. Das menschliche Bewusstsein – zumindest der Ausdruck dessen – ist in seinem Verständnis ein präverbal angelegtes Feld bipolarer Bedeutungs-Beziehungs-Muster; verursacht durch den Abgleich zwischen Erfahrungen und Antizipationen. Diese sog. Konstruktsysteme prägen unsere Wahrnehmung und bilden die Ausgangslage unser erEntscheidungsheuristiken. Sie prägen damit indirekt unser Verhalten.

Im Grunde entwickelt jeder Mensch im Laufe seines Lebens ein ganz individuelles Brillengestell und Beschaffenheit der Gläser:

Die Art und Weise wie eine Person Erfahrungen interpretiert, bewertet und klassifiziert ist damit einzigartig und macht unseren Charakter und unser Persönlichkeit aus. Demnach existiert also auch keine absolute universelle Realität, sondern jeder Mensch lebt in seiner selbst konstruierten Wirklichkeit (https://de.wikipedia.org/wiki/Konstruktivismus_(Philosophie)).

Aufdecken versteckter Muster

Mit #rep:grid können diese präverbalen Entscheidungsheuristiken aufgedeckt und visualisiert werden. Gerade in Gruppenuntersuchungen können durch die Aggregation der Einzelsichtweisen zu einem Gruppenbild neue Ideen und Lösungsaspekte für unterschiedlichste Aufgabenstellungen extrahiert werden (s. a. www.therepgrid.com):Konstruktivismus der Maschinen

Wenn man sich jetzt die verschiedenen Algorithmen des Data Science näher anschaut, stellt man schnell fest, dass sich alle Bemühungen darum drehen, die Kunst des menschlichen Gehirns zu simulieren. Und in der Tat, Computer können bestimmte Aufgaben heute schon 1000mal schneller zu verarbeiten als der Mensch. Selbst bei komplexen Strategieaufgaben, wie Schach, ist der Computer dem Menschen mittlerweile überlegen:Das ist insofern erstaunlich, dass ein künstliches Neuronales Netz im Grunde ähnlich dem menschlichen Gehirn strukturiert ist. Auch hier werden ausschließlich dichotome Informationseinheiten verwendet (0 und 1). Optimierte Prozessorleistungen, verschlankte und immer kniffligere Algorithmen machen dies möglich. Die technische Evolution, vom Menschen gemacht, schreitet mit ultrahoher Geschwindigkeit voran.

Und diese digitale Revolution wird nicht aufzuhalten sein. Jedoch gibt es auch kritische Stimmen:

 

Und trotz aller Kritik sehen wir die interessanten Möglichkeiten für unser rep:grid. Und wir sehen auch eine interessante Überschneidung zwischen unserem humanistischen Ansatz im rep:grid und den neuen Möglichkeiten die uns das Data Science Portfolio zur Verfügung stellt. Es ist eine spannende und lehrreiche Aufgabe die Intelligenz der Maschinen für unser Tool nutzbar zu machen und gleichzeitig ethisch sauber zu bleiben. Dieser Diskurs wird meines Erachtens übrigens sträflich vernachlässig, bzw. hinkt den Entwicklungen meilenweit hinterher.

Freundschaft zwischen Mensch und Maschine

Der Dichotomie-Ansatz in den informationsverarbeitenden Systemen Mensch oder Maschine ist tatsächlich ähnlich aufgebaut. Eine Verquickung des rep:grid mit den Algorithmen des Maschinellen Lernens liegt also nahe. Und wir arbeiten daran, die letzten Hürden abzubauen.

Wenn ich die Möglichkeiten des Data Science richtig verstanden habe, sind wir auf einem interessanten Pfad der Forschungsgeschichte gelandet; die Konvergenz von qualitativer psychologischer Diagnostik mit den Algorithmen der KI.

Ohne mich jetzt zu weit aus dem Fenster zu lehnen, möchte ich einen diskreten Hinweis mittels umgeschriebenen Thomas Theorem formulieren und damit die kommenden ethischen Herausforderungen hervorheben.

Nämlich „If machines define situations as real they’re real in their consequences” (Rosenberger 2019, in Anl. a. Thomas & Thomas 1970: 572)